Psychotherapie und psychische Erkrankungen – Teil IV: Nur (k)eine Panik

Es fängt ganz harmlos an. Zum Beispiel mit einem spürbaren Puls, über den man sich in anderen Situationen freuen würde. Erste Gedanken, wie „Was ist los?“ oder „Es wird doch nicht etwa …?“ treten auf. Gefolgt von Schweißausbrüchen und Hitzewallungen oder Kälteschauer steigert sich der Puls auf deutliches Herzklopfen. Beklemmungen in der Brust und Atemnot, Gefühllosigkeit oder Kribbeln in den Gliedmaßen lässt zwar nicht die Stimmung steigen, dafür aber den Puls bis zum Herzrasen. Eventuell auftretende Symptome wie Schwindel oder Schwächeanfälle, eine unwirklich erscheinende Umwelt und Übelkeit führen verständlicherweise zu der Angst, die Kontrolle zu verlieren, verrückt zu werden oder sogar zu sterben. Eine Panikattacke.

Etwa zwei bis drei Prozent aller Deutschen erkranken mindestens einmal im Leben an einer Panikstörung, und rund sechs Prozent erleben zumindest einmal im Leben eine Panikattacke. Frauen sind dabei etwa doppelt so oft betroffen wie Männer. Panikstörungen beginnen meist vor dem 30. Lebensjahr, im jungen Erwachsenenalter.

Panikattacken
Die Auslöser können harmlose Körperwahrnehmungen (Puls, Unwohlsein, leichter Schwindel) sein. Diese werden (unbewusst) als gefährlich gedeutet. Dadurch entsteht Angst, was die oben beschriebenen Symptome weiter verstärkt. Durch eine erhöhte Fokussierung auf diese Verstärkung und Deutung der Symptomverstärkung als Bestätigung der Angst entsteht ein „Teufelskreis“. In kürzester Zeit (Sekunden bis Minuten) schaukelt sich ein anfänglich harmloses Symptom zu einer Panikattacke hoch.

Panikstörung
Wie bei den meisten Erkrankungen geht man heute davon aus, dass es eine genetische Veranlagung gibt. Offenbar beeinflussen bestimmte Gene das Emotionszentrum im Gehirn, das an der Regulation emotionaler Reaktionen beteiligt ist. Aufgrund einer Überempfindlichkeit bestimmter Hirnregionen reagieren betroffene eher mit Angst. Außerdem wird eine Störung im Neurotransmitterhaushalt vermutet.
Die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist bei Menschen um das Doppelte erhöht, die einen Verwandten ersten Grades haben, der an einer Panikstörung leidet. Das stützt einerseits die Vermutung der genetischen Disposition. Andererseits lässt es auch den Schluss zu, dass die familiäre Komponente nicht unerheblich zur Entwicklung einer Panikstörung beiträgt. Das Lernen am Modell der Eltern, insbesondere deren Umgang mit Stress, Ängsten oder Sorgen spielt vermutlich eine große Rolle. Auch Alkoholmissbrauch durch einen/beide Elternteil/e, ebenso wie sexueller Missbrauch oder Konfrontation mit Gewalt begünstigen die Entwicklung späterer Panikstörungen.

Bei über 80 Prozent der Betroffenen ist in der Vorgeschichte der Panikstörung ein belastendes Ereignis (Trauerfall, Trennung, schwere körperliche Erkrankungen) zu finden. Aber auch das Gefühl überlastet zu sein, Stress, regelmäßiger Alkohol-/Drogenkonsum oder einfach Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation fördern Panikstörungen.

Auswirkungen
Viele Betroffene versuchen mit Beruhigungsmitteln (Benzodiazepine) oder Alkohol ihre Angst zu betäuben und damit erträglich zu machen. Das verschafft auch kurzfristig Entlastung, birgt aber mittel- bis langfristig die Gefahr der Abhängigkeit. Besteht bereits eine Benzodiazepin-Abhängigkeit können v. a. bei unsachgemäßem Absetzen der Medikamente Entzugssymptome entstehen, die sich mit den Ursprungs-Symptomen decken, weshalb das Medikament überhaupt eingenommen wurde. Nämlich Angst, Unruhe, Schlafstörung, Panik. Die Folgen von Alkoholmissbrauch sind vielfältig und zumindest im Großen und Ganzen als bekannt voraus zu setzten.

Etwa jeder Zweite leidet zusätzlich an einer Depression oder an anderen Angsterkrankungen (z.B.: Sozial-Phobie).

Aus einer „Angst vor der Angst“ vermeiden viele Patienten die (vermeintlich) Angst auslösenden Situationen, was bis zur sozialen Isolation und dem Nichtverlassen der eigenen Wohnung führen kann. Die Konsequenzen für das Privat- und Berufsleben hängen von der Schwere der Symptomatik und der individuellen Lebenssituation ab.

Behandlung
Da die Symptome einer Panikattacke auch denen von Herz- oder Atemwegserkrankungen zum Verwechseln ähnlich sein können, ist es unbedingt, notwendig körperliche Ursachen ärztlich abklären und ausschließen zu lassen.
Da Panikstörungen bei über 80 Prozent der Betroffenen unbehandelt über sieben Jahre andauern, ist psychotherapeutische Unterstützung in jedem Fall zu empfehlen. Als Mittel der Wahl gelten heute in erster Linie  Hypnosetherapie und Verhaltenstherapie. Wie so oft wird aber auch hier der Behandlungserfolg maßgeblich durch die Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit beeinflusst. In schweren Fällen können Medikamente notwendig sein, die im Optimalfall von einem Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie verordnet werden. Das Erlernen von Entspannungsverfahren unterstützt die Therapie.

Dass Panikattacken in höchstem Maße unangenehm sind, kann niemand bestreiten. Todesängste aushalten zu müssen, sucht sich niemand freiwillig aus. Die gute Nachricht ist allerdings, dass Panikstörungen nicht tödlich sind. Sich dieses Wissen zu vergegenwärtigen hat, schon einigen Patienten geholfen, mit ihren Symptomen besser umgehen zu können. Im Vergleich mit Herzinfarkt oder anderen Notfällen könnte man also auch sagen: „Nur eine Panik“.

Wie die übrigen Veröffentlichungen dieser Kurzserie dient auch dieser Artikel keinesfalls der (Eigen)Diagnose und ersetzt auch nicht das Gespräch oder eine Behandlung durch Ärzte oder Therapeuten!
Vielmehr soll diese Serie einen ersten Einblick in die häufigsten psychischen Störungsbilder verschaffen, vergegenwärtigen, dass es Betroffene in jedem Umfeld geben kann, und diese keinesfalls verrückt sind. Ein offenerer Umgang mit psychischen Störungen und vor allem die Akzeptanz solcher Erkrankungen und das Verständnis für sie würden unserer Gesellschaft gut tun. Vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es jeden von uns treffen kann.

Heiko Schäfer, www.psychotherapie-schaefer.de